Über das Unfassbare sprechen – Schulgemeinschaftsfahrt der 

RS Lichtenau nach Auschwitz und Krakau 

Bereits zum dritten Mal begab sich die Schulgemeinschaft der Realschule vom 11. – 16.6.2019 mit über 60 Teilnehmern bestehend aus Schülern, Eltern und Lehrern auf eine Studienfahrt nach Auschwitz und Krakau. Dank der Förderung des Landes für die Durchführung von Schulfahrten an Gedenkstätten, aber auch der Unterstützung der Volksbank OWL, des Erzbistums Paderborn und nicht zuletzt des Fördervereins der Realschule konnte diese Reise unter der Leitung der „Stätte der Begegnung“ in Vlotho verwirklicht werden. Eingebettet war die Schulgemeinschaftsfahrt in einen Workshop zur Vor- und Nachbereitung, in der die Schülerinnen und Schüler auf das Thema „Auschwitz-Synonym für Holocaust und Massenmord“ vorbereitet wurden und der die Eindrücke und Erfahrungen mit Blick auf die eigene Zukunft reflektierten. Ferner ist wieder geplant, das alljährliche Gedenken an das Schicksal der jüdischen Familien in Lichtenau im November zu unterstützen.

Am frühen Morgen machte sich unsere Gruppe auf den Weg nach Polen, unsere erste Station zur Zwischenübernachtung, Breslau, erreichten wir am frühen Abend bei sehr warmem Sommerwetter. Dieses lud uns ein, ein paar Stunden auf dem Marktplatz zu verbringen und den Zauber dieser wunderschönen Stadt zu genießen, während sich die Teilnehmer näher kennenlernen konnten.

Früh am Folgetag machten wir uns auf nachOświęcim, mit vielen unterschiedlichen Erwartungen näherten wir uns dem Ort, an dem vor nun mehr als 70 Jahren durch unsere Vorfahren ein unfassbares Verbrechen an den Menschen begangen wurde. Nachdem wir unsere Unterkunft bezogen hatten, begann unsere Auseinandersetzung mit dieser Thematik nach einer kleinen Einführung mit einer dreieinhalbstündigen Führung durch das Stammlager. Wir erfuhren, auf welch unwürdige Weise die Gefangenen gequält und erniedrigt, aus Zwang wie aus eigener Motivation regelrecht entmenschlicht wurden. Am nächsten Tag vertieften wir bei über 30 Grad unsere Eindrücke beim Besuch des Vernichtungslagers Auschwitz II – Birkenau. Auf einem riesigen Areal wurden dort in 200 Baracken bis zu 90 Tausend Häftlinge gleichzeitig unter katastrophalen hygienischen Verhältnissen eingesperrt und zu Zwangsarbeit verpflichtet, der überwiegende Teil der Menschen, die mit dem Zug das Lagertor passierten, wurden darüber hinaus ohne Registrierung an der Rampe direkt in den Tod geschickt. Die Überreste der vier Krematorien und Verbrennungsgruben zeugen noch heute von diesen unfassbaren Massenmorden. In den Führungen erfuhren wir Einzelheiten über dasLagerleben der Frauen, Kinder und Männer, über die zahlreichen Schikanen des Alltags, über die Willkür der Wachen und Menschenversuche der Ärzte, aber auch über Menschen, die mutig Hilfe leisteten und damit Menschenleben retteten. In einer Schweigeminute am großen Mahnmal gedachten wir der Opfer des Holocausts – sprachlos, fassungslos.  

In den Reflexionen am Abend versuchten die Teilnehmer das Erlebte in Worte zu fassen oder über die gehörten Einzelschicksale zu sprechen. Insbesondere der Moment, selbst in der Gaskammer des Stammlagers, dem unmittelbaren Ort des Sterbens, gestanden zu haben, erschütterte viele von uns nachhaltig. In Vertiefungsangeboten und Workshops setzten wir unsere Erinnerungsarbeit fort, so entstanden zum Beispiel Bilder, fiktive Tagebucheinträge oder informative Texte zu unterschiedlichen Themenbereichen, wie das Leben von Kindern im Lager oder Opfer- und Täterbiographien. Geleitet und durch viele Impulse bereichert wurden diese Angebote wie auch die abendlichen Gesprächsrunden von den Leitern der `Stätte der Begegnung´. 

Erschrocken und berührt haben uns zudem künstlerische Zeugnisse, mit denen Häftlinge versuchten, das Erlebte zu verarbeiten. Ineiner Ausstellung in Harmeze betrachteten wir zahlreiche, oft düstere Bilder, die die Hölle von Auschwitz eindrücklich darstellten, und ließen uns „Kunst im Lager“ in einer Ausstellung im Stammlager erklären. 

Dass neben dem Ort des Grauens aber auch nach wie vor eine Kleinstadt existiert, in der Menschen früher wie heute leben und arbeiten, erfuhren wir bei einer Stadtführung durch Oświęcim. Dieser Ort erzählt insbesondere eine Geschichte über das friedliche und bereichernde Miteinander verschiedener Kulturen und Religionen, dies zeigte uns die Ausstellung über die Geschichte der Roma,wie auch der Besuch der Synagoge.

Mit diesenintensiven Eindrücken im Gepäck machten wir uns schließlich auf nach Krakau, dem `Wien des Ostens` an der Weichsel. Wir lernten dort Lidia Maksymowiczkennen, die ihre persönliche Geschichte mit uns teilte. Sie erzählte uns von den 14 Monaten, die sie als Kleinkind in der Hölle von Birkenau verbrachte, von ihren Ängsten und Hoffnungen, den vielen Quälereien durch Lagerärzte und Wachen sowie den kleinen Wohltätigkeiten erwachsener Mithäftlinge, die sie vor dem sicheren Tod bewahrten. Diese unmittelbare Konfrontation verlieh dem vorher Gesehenen ein konkretes Gesicht und beeindruckte die Teilnehmer nachhaltig. 

Bei heißem Sommerwetter lernten wir sowohl bei einer Führung durch das jüdische Viertel als auch in kleinen Gruppen das wunderschöne Krakau und seine Sehenswürdigkeiten kennen und erlagen dem Zauber dieser quirligen Stadt. 

Nach einem gemeinsamen Abendessen begann unser Heimweg, müde und verschwitzt, aber auch voll von Eindrücken fuhren wir in die Nacht gen Heimat. Wir kamen langsam wieder in unserer persönlichen Gegenwart an und, bereichert durch die Erfahrungen, die wir gemacht haben, lernten wir vor allem Eines: Wir haben keine Schuld auf uns geladen, aber wir haben einen Auftrag für unsere Zukunft. Die Zeitzeugin lehrte uns, dass wir und insbesondere die Jugendlichen die Verantwortung dafür tragen, dass sich eine solch schreckliche Vergangenheit nicht wiederholt. Wir sind dankbar dafür, in einer Demokratie leben zu dürfen, und nicht aufgrund unserer Religion oder (kulturellen) Herkunft verfolgt oder herabgewürdigt zu werden, denn die Würde des Menschen ist unantastbar. Dieser Aufgabe für die Zukunft wollen wir uns gerne stellen und hoffen, mit der Fahrt einen Beitrag dazu geleistet zu haben. 

(Sigrid Buttgereit)

 

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